Ich betrachte meine Frau, während ich herzhaft in ein frisches Brötchen beiße.
Neuerdings bearbeitet sie wieder munter das alte, verstaubte Piano mit ihren schlanken und grazilen Fingern. `Für Elise` . Morgens und abends, abends und morgens.
Irgendwann, in frühen Jahren, ließ sie die mühevollen und anstrengenden Klavierstunden leise ausklingen. Stunden, die ihr immens wohlhabender Vater ermöglicht hatte.
Jetzt will sie dort anknüpfen, wo sie einstmals aufgehört hatte: `Für Elise. Ludwig van Beethoven`.
Ihren Eifer, ihren Willen, ihre Verbissenheit und Ausdauer wirft sie in die wartenden Notenblätter.
Morgens und abends. Ich komme nach Hause, `Für Elise`, ich verlasse das Haus, `Für Elise`. Ich schäkere dann lange und gerne mit ihr, versichere, dass ihre Fortschritte mehr als überdurchschnittlich groß und bewundernswert sich schon ausmachen, was sofort in gesteigerte und verschärfte Übungsstunden mit exakt jenem Musikstück mündet: `Für Elise`
Vor einigen Tagen war unsere heile Welt noch in Ordnung! Wie ein Gruß, eine schwache Erinnerung an Glück und Harmonie, wehen Eindrücke von damals in unsere derzeitige missliche Lage.
Weshalb habe ich denn bloß damit angefangen?
Professor Klüders, unser Nachbar, hatte mich eindringlich davor gewarnt:
“Um Himmels Willen, Konrad! Bloß nicht! Lassen Sie das bleiben!“
Ich lache kurz und wehmütig auf, als ich mich an dieses sonderbare Gespräch , das wir am gemeinsamen Gartenzaun führten, erinnere: Klüders, mit seinen zotteligen Haaren und dem imponierenden Vollbart, dessen Gesicht stets an ein nicht gemachtes Bett erinnert, der, man will es ja kaum glauben, akademischer Maler ist und in seinen Kreisen durchaus eine Berühmtheit darstellt. Da aber der Kunstmarkt im allgemeinen eine etwas störrische Geliebte ist, volatil und schwer durchschaubar, scheu wie ein Reh und heikel zudem, jedoch regelmäßige Einkünfte eine sehr beruhigende Wirkung auch auf akademische Maler haben, unterrichtet Klüders am Stadtgymnasium, welche Tätigkeit ihn in die Lage versetzt, in diesem noblen Vorort unser Nachbar zu sein.
Ab und an allerdings suchen ihn moralische sowie künstlerische Bedenken heim. Dann hört man seine Klage-Gesänge in unseren Garten herüberwehen:
“Ich wollte der Welt neue Farben geben, Stimmungen, Schattierungen und Zeichen, und was ist aus mir geworden? Sagt es mir? Was ist aus mir geworden? Ein Beamter!“ Hierauf folgen zumeist weitere Wehklagen und theatralisch akzentuierte Ausrufe sowie lautes Gläser-Geklirre. „Ein unbedeutender Pauker bin ich, der verwöhnten und rotzfrechen Kindern gerade Strichführung beibringen muss! Himmel, was ist aus mir geworden?….“